Life – das Stadtmagazin Nummer 249 – Juni/Juli 2021

Exotisch oder logisch? Das bedingungslose Grundeinkommen

Auf dem Sofa:
Dr. Martin Sonnabend
(Rödinghausen)

Life, das Stadtmagazin. Er tritt an. Dr. Martin Sonnabend (67) aus Rödinghausen bewirbt sich in unserem Wahlkreis für die Bundestagswahl. Nichts Außergewöhnliches? DOCH. Denn der Einzelkandidat hat ein einziges Thema: Das Bedingungslose Grundeinkommen. Für dieses setzt sich der Leitende Oberarzt mit ganzer Leidenschaft ein. Und mit treffenden Argumenten. Das beweist er heute auf dem Roten Sofa.


LIFE: Martin Sonnabend, wie kommt ein Leitender Oberarzt dazu, sich für ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) einzusetzen?

Dr. Martin Sonnabend: Ich bin ja Internist und Sozialmediziner. Von daher beschäftige ich mich sehr intensiv mit den Berufen und der Leistungsfähigkeit der Patienten. Damals in meiner Funktion als Amtsarzt im Gesundheitsamt habe ich Hunderte Hartz 4-Lebensläufe kennengelernt und das hat mich sehr beschämt. Das ist würdelos, was wir mit den Menschen machen, die sehr wenig Geld verdienen und am Tropf des Staates hängen. Das müssen wir ändern.

LIFE: Und damit treten Sie als Einzelbewerber im Wahlkampf zur Bundestagswahl an. Ist das nicht so ähnlich wie Don Quichotte gegen die Windmühlen?

Dr. Sonnabend: Das ist ein schöner Vergleich. Aber ich sehe das etwas anders. In Umfragen ist über die Hälfte der Bürger für ein BGE. Zum anderen habe ich das Ziel, dass ich den Wahlkampf nutze, um den Begriff und die Bedeutung des Bedingungslosen Grundeinkommens bekannt zu machen. Kurz gesagt: Dass es Thema wird und verstanden wird. Das Besondere ist ja die Bedingungslosigkeit – nicht nur der arme Schlucker bekommt es, sondern auch der Millionär.„Ich spreche von 1200 Euro“

LIFE: Haben Sie im Wahlkampf noch andere Themen?

Dr. Sonnabend: Alle Leute, die mich kennen, wissen, dass ich mich schon mit vielen Themen beschäftigt habe. Ich war sehr aktiv in der Anti-Atombewegung, dann setze ich mich intensiv für den Umwelt-und Naturschutz ein. Aber im Wahlkampf ist das BGE das einzige Thema. Später im Bundestag muss und werde ich mit den anderen Parteien Kompromisse finden.

LIFE: Bis heute gibt es in der öffentlichen Diskussion ja kein einheitliches BGE-Modell. Von welchem bedingungslosen Grundeinkommen gehen Sie aus?

Dr. Sonnabend: Das stimmt – es gibt unterschiedliche Berechnungen. Vor 10 Jahren hat der Unternehmer Professor Götz Werner 1000 Euro monatlich vorgeschlagen. Ich spreche momentan vorwiegend von 1200 Euro. Andere sagen, es müsse 1500 Euro betragen, um die wichtigen Dinge auch wirklich zu gewährleisten. Die Lebenskosten sind auf dem Lande natürlich anders als zB in München. Es ist aber für jeden wichtig, mit dem BGE auch ein Stück gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, dass man auch mal ins Kino oder Konzert gehen kann oder zum Pizza essen.

LIFE: 1200 sind dann netto, oder?

Dr. Sonnabend: Richtig. Wenn ich im Bundestag bin, werde ich eine Expertenkommission gründen, die genau ermittelt, wie hoch es sein wird und wie wir das finanzieren. Und sie muss eine ganz wichtige Frage klären: legen wir gleich los mit einem Systembruch von heute auf morgen? Oder machen wir es gestuft, indem wir etwa erstmal mit den Kindern anfangen? Und danach als zweite Gruppe z.B. die Älteren, die ein Leben lang für uns gearbeitet haben. Und so weiter… Eins steht aber fest: wir hatten 2019 einen Sozialtransfer von über einer Billion Euro. Das ist alleine 30% unseres Bruttosozialprodukts. Da wird das BGE aller Wahrscheinlichkeit sogar günstiger.„Es wird keine Superarmen mehr geben“

LIFE: Dann überzeugen Sie uns: Worin besteht denn der große Vorteil des BGE?

Dr. Sonnabend: Der große Vorteil ist: Wir sind bis zu 1200 Euro alle gleich. Jetzt werden natürlich einige aufschreien und sagen: das ist ja Kommunismus. Nein, es hat nichts mit Kommunismus zu tun, denn ab 1200 Euro verdienen wir ja alle dazu, es ist ja nur die Basis. Wir alle wollen ja noch ein besseres Leben haben und danach gibt es genau so Ärmere und Reichere. Es wird auch weiterhin die Superreichen geben, die Multimillionäre. Aber was es nicht mehr geben wird, sind die Superarmen.

LIFE: Also bekommen alle ein Grundeinkommen. Ist dann nicht bei vielen die Motivation ganz gering, überhaupt noch arbeiten zu gehen?

Dr. Sonnabend: Das ist eine der häufigsten Fragen, die mir gestellt wird. In Umfragen sagen bis zu 93%: natürlich werden wir dann weiter arbeiten. Vielleicht ein paar Stunden weniger oder endlich mal in dem Job, den ich immer machen wollte. Das schafft eine größere Zufriedenheit.LIFE: Die damaligen Hartz 4-Reformen sollten die Leute ja gerade wieder in Arbeit bringen. Wenn es keinen Vermittlungszwang gibt, liegt es dann nicht nahe, zuhause auf der Couch zu bleiben?

Dr. Sonnabend: Das Kernproblem besteht doch darin, dass es später nicht mehr genug Arbeit geben wird, mit der ich die Familie ernähren kann. Schon jetzt verbreiten die großen Parteien eine Illusion, wenn sie behaupten: wir schaffen Arbeitsplätze! Natürlich wird es durch neue Technologien etc. ein paar neue Arbeitsplätze geben, aber es werden gleichzeitig Hunderttausende verschwinden. In zehn Jahren haben wir ca. 30 % weniger Jobs. Aber die Leute müssen doch von etwas leben. Aber wovon? Also muss unbedingt ein neues System her! Ich selbst habe vor 10 Jahren noch gesagt, das BGE ist eine Utopie. Heute weiß ich, es wird kommen! Eine Utopie ist in Wahrheit, wenn die Parteien sagen: Wir sorgen für eure Arbeitsplätze.

LIFE: Wer aber will dann die unbeliebten Jobs, die Dreckigen machen?

Dr. Sonnabend: Der Großteil der Jobs wird in den nächsten Jahren der Automatisierung und Digitalisierung zum Opfer fallen. Und die, die noch bleiben, müssen halt gut bezahlt werden, damit sie gemacht werden. Den verbleibenden Rest dann müssen wir alle selber machen. Das tun wir doch bereits täglich: wissen Sie, wie viel Zeit Sie jeden Tag für die ganzen unbezahlten Tätigkeiten wie Einkäufe, Kochen, Kinder erziehen, Eltern pflegen, Garten etc. verbringen? Dafür bezahlt uns keiner.„Wir brauchen endlich ein gerechtes System“

LIFE: Kommen wir zur Schlüsselfrage: Wer soll das bezahlen?

Dr. Sonnabend: Die Kosten dürften bei knapp einer Billion im Jahr liegen. Derzeit ist der Sozialtransfer schon teurer.

LIFE: Die Mittel aus dem Sozialtransfer wären also die Finanzierungsquelle?

Dr. Sonnabend: Eine denkbare. Das soll die Experten-kommission im Bundestag dann erarbeiten. Natürlich gibt es zig Steuern, mit denen man das machen könnte: etwa eine CO2-Steuer oder eine Finanztransaktionssteuer, bei der jeder Börsengang etwa 0,5 Cent kostet. Oder über die Vermögenssteuer.

LIFE: Ist es nicht ungerecht, wenn auch die Reichsten ein BGE erhalten?

Dr. Sonnabend: Genau umgekehrt ist es: erst das ist gerecht. Würde ich irgendwo einen Schnitt machen, würde ich ja Gruppen diskriminieren. Das da ist der arme Schlucker, der muss es bekommen. Und da drüben das ist der Erfolgreiche, der hat viel verdient, der braucht das nicht. So würden wir die Gesellschaft in Arm und Reich spalten. Doch wenn auch der Reiche das BGE erhält, sind alle gleich. Auch der Millionär. Wichtig ist zudem, dass das BGE am Anfang des Monats ausgezahlt werden soll. Nicht am Monatsschluss als Belohnung, sondern gleich am Anfang, damit ich dann etwas damit anfangen kann. Der Millionär wird über die Steuer dann am Ende des Monats etwas weniger haben.

LIFE: Der Sozialstaat und das Solidaritätsprinzip sind in Jahrzehnten erkämpft worden. Wäre eine Abschaffung nicht unsolidarisch?

Dr. Sonnabend: Ich vergleiche das BGE gerne mit der Einführung der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung. Als sie durch Bismarck eingeführt wurden, gab es ein großes Aufbegehren: das ist gar nicht bezahlbar, das führt uns in den Ruin! Heute würde keiner mehr in den früheren Zustand zurück wollen. Und Sonnabend sagt: in 10 Jahren ist das BGE für uns alle genau so selbstverständlich wie die gesetzliche Kranken- oder Rentenversicherung.„Wir werden gar nicht anders können“

LIFE: Glauben Sie an so viel Reformfähigkeit unserer doch sehr satten Gesellschaft?

Dr. Sonnabend: Wir werden den Druck bekommen, dass wir gar nicht anders können. Und ich will die Menschen überzeugen, was das BGE für uns alle bedeutet. Nämlich eine größere soziale Gerechtigkeit, mehr Freiheit und Unabhängigkeit, Autonomie sowie Freiraum für neue Ideen, für Start-Ups, eine bessere Geschlechtergerechtigkeit. Und schließlich bedeutet es ein qualitativ besseres Leben mit mehr Lebenszufriedenheit und Gesundheit. Wissen Sie, ich habe in meiner Klinik sehr viele Menschen, die unter dem jetzigen System leiden, die mit Burnout kommen oder depressiv werden.

LIFE: Hat Sie das Thema Soziale Gerechtigkeit schon immer umgetrieben?

Dr. Sonnabend: Ja, weil ich die Verzweiflung hautnah erlebe. Wenn mir etwa ein Patient sagt, ich habe jetzt 30 Jahre im Dreischichtsystem gearbeitet, ich kann seit 5 Jahren nicht mehr richtig schlafen, weil ich durch den Wind bin. Ich kann eigentlich nicht in den Job zurück, aber ich muss noch ein paar Jahre Geld verdienen. Wenn Sie solche Lebensläufe mitbekommen … Oder Hartz 4-Empfänger erleben, die sich schon gar nichts mehr zutrauen und sagen, ich bin ganz unten… Die Würde des Menschen ist unantastbar und das BGE stellt gerade die Würde wieder her. Wissen Sie, jedes fünfte Kind lebt in Deutschland in Armut. Und das in einem der reichsten Länder der Welt – das halte ich nicht aus …
„Don Quichotte wird erfolgreich sein“

LIFE: Warum versuchen Sie nicht, die Unterstützung der großen Parteien zu gewinnen?

Dr. Sonnabend: Mein erstes Ziel ist ja, über das BGE zu informieren. Ich habe inzwischen Hunderte Gespräche geführt, mit Millionären und Hartz-Vierern, mit Mittelständlern, Künstlern, Professoren oder Direktoren. Tolle Gespräche, auch zum Teil sehr kritische Fragen so wie bei Ihnen heute. Das verbessert das System, das schleift den Brillanten. Ich sehe gute Chancen, als Einzelbewerber gewählt zu werden. (Schmunzelt …) Und Sie werden sehen, der Don Quichotte wird erfolgreich aus seiner Mühlenschlacht zurückkehren.

LIFE: Sie glauben also realistisch an einen Wahlsieg.

Dr. Sonnabend: Ja, absolut. Die Bürgerinnen und Bürger im Kreis Herford sind nämlich clever, die werden nämlich den Sonnabend wählen, weil sie dann einen von sich sicher im Bundestag haben. Die anderen Kandidaten im Kreis werden ja über die Reserveliste ihrer Parteien gewählt. Den Sonnabend aber kann man über die Erststimme direkt ins Parlament wählen. Und wenn ich im Bundestag bin, werden mich die großen Parteien brauchen. Denn oft kommt es ja bei Abstimmungen auf die eine Stimme an. Man muss also mein Thema ernst nehmen.

LIFE: Jetzt wollen wir in Kurzform aber noch Ihre Vita erfahren …

Dr. Sonnabend: Ich hatte eine schöne Kindheit in Göttingen, war damals völlig introvertiert. Dann folgte mit 15 Jahren der Wechsel nach München, wo ich plötzlich meine Extrovertiertheit entdeckte. Dort das Medizinstudium, die Zusatzausbildungen als Psychotherapeut und Sozialmediziner und u.a. eine zeitlang in einer Klinik am Chiemsee. Der Liebe wegen bin ich vor 25 Jahren dann nach Rödinghausen gekommen. Ich habe zwei Töchter und zwei Söhne, die mich jung halten. Überhaupt habe ich in meinem Wahlkampfteam derzeit mit zehn jungen Leuten zu tun, die mir zeigen, wo es bei den sozialen Medien etc. lang geht.

LIFE: Bleibt noch Zeit für Hobbys?

Dr. Sonnabend: Früher bin ich weltweit gerne gesurft, Tennis, Ski … Heute liebe ich lange Radtouren.

LIFE: Danke für den Einblick ins BGE. Ist Ihnen noch etwas wichtig?

Dr. Sonnabend: Ein schönes Bild für mich ist folgendes: ein bedingungsloses Grundeinkommen von 1200 Euro am Anfang eines Monats ausgezahlt ist wie ein gutes Frühstück am Morgen. Danach ist man gestärkt und wieder leistungsfähig. Ohne finanzielle Sorgen können wir nun wieder arbeiten bis zum Monatsende. Alle investieren in mich, damit ich frisch und kräftig bin und bleibe.

„Das Interview“ von Lara-Marie Mania und Stefan Winter.Mit Fotos von Joline Bräucker

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