Seit die Schweizer im vergangenen Jahr über die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) abgestimmt haben, hat die Idee einen Lauf. In allen Ländern des Westens formen sich Initiativen, die für das Grundeinkommen werben oder es sogar testen, in den Niederlanden, in Finnland und Kanada. In Deutschland sprechen sich wichtige Wirtschaftsführer wie der Siemens- und der Telekom-Chef dafür aus, die in ihrem Metier einflussreiche Satire-Sendung „Die Anstalt“ wirbt relativ unverhohlen für die Idee und das „Bündnis Grundeinkommen“ will die Idee schon zur Bundestagswahl wählbar machen.

Aber bedeutet das, die Einführung des Grundeinkommens steht kurz bevor?

Nein. Nüchtern betrachtet: Es gibt in Deutschland keine größere Partei, die ernsthaft für diese Idee wirbt. Es gibt noch nicht einmal – wie in Finnland oder den Niederlanden – richtige Feldversuche.

Um eine Ahnung davon zu bekommen, was in Deutschland passieren müsste, damit das Grundeinkommen Realität wird, hatte ich vor vier Wochen eine Umfrage gestartet. Dreihundert Menschen haben mir inspirierende, nachdenkliche und ziemlich kluge Antworten geschickt. Mehr als 80 Prozent der Teilnehmer gaben an, das Grundeinkommen für „ein gutes Modell“ zu halten. Dieser Text ist also ein Spiegel der Grundeinkommens-Bewegung selbst, er zeigt, wo sie sich noch unsicher ist und welche Aufgaben sie vor sich sieht.

Ich fange mit jenen Antworten an, die die Teilnehmer nicht ganz so oft genannt haben und ende mit der einen Sache, die in unterschiedlichen Worten mehr als 100-Mal in den Antworten auftauchte. Ich unterscheide mit Absicht nicht zwischen eher abstrakten, konzeptionellen Fragen und sehr konkreten. Sollte das Grundeinkommen eingeführt werden, werden sowieso alle beantwortet werden müssen. Die Reihenfolge hier im Text spiegelt die Bedeutung der acht Herausforderungen wider.

Fragen nach der Finanzierung und der konkreten, verwaltungstechnischen Einführung habe ich ausgeklammert. Denn die kann nur beantworten, wer zuerst über die Höhe des Grundeinkommens gesprochen hat. Wer aber über die Höhe sprechen will, muss sich zunächst entscheiden, ein BGE einführen zu wollen. Und genau diese Debatte führen wir ja gerade.

Übrigens: Einen Link zu wirklich allen Antworten finden KR-Mitglieder in der Anmerkung rechts.

1. Die Jungen motivieren, weiter zur Schule zu gehen

In meiner Umfrage hat Georg eine auf den ersten Blick etwas abseitige Frage gestellt: „Lohnt sich in einer Welt mit Grundeinkommen eine Berufsausbildung für Jugendliche?“ Oder anders gefragt: Was sollte einen jungen Menschen dazu bringen, eine jahrelange Schul- und danach Ausbildung zu durchlaufen, wenn er weiß, dass er sein ganzes Leben lang ausgesorgt hat?

Die Frage ähnelt einem anderen Argument, das immer wieder gegen das Grundeinkommen vorgebracht wird, aber durch Umfragen entkräftet ist: Wenn es ein Grundeinkommen gäbe, würde niemand mehr arbeiten. Befragungen zeigen, dass Menschen dann sehr wohl noch arbeiten würden, nur eben weniger und in anderen Jobs.

Vielleicht wäre es bei den jungen Menschen mit der Bildung ähnlich, vielleicht würden sie freiwillig zur Schule gehen – auch in ihren rebellischen Phasen. Aber niemand weiß das. Es gibt keine Umfragen dazu und keine Versuche. Dabei müsste die Schule eine Schlüsselrolle einnehmen, um die Gesellschaft auf ein Grundeinkommen vorzubereiten. Dazu weiter unten mehr.

2. Verhindern, dass die Preise steigern

Für Christian und andere ist das eine große Herausforderung: Das Grundeinkommen so einzuführen, dass die Preise gerade für die Güter des täglichen Bedarfs nicht einfach um den gleichen Betrag steigen „und wir wieder bei der Ausgangssituation“ sind, das Grundeinkommen also keinen echten Einfluss auf das Leben der Menschen hat. Was steckt hinter Christians Überlegung?

Wenn plötzlich jeder Bürger ein garantiertes, vielleicht gar nicht mal sehr geringes Grundeinkommen in der Tasche hätte, könnten gerade die Supermärkte darauf reagieren und die Preise für Güter wie Butter, Brot und Milch anheben. Sie operieren heute mit sehr schmalen Gewinnspannen. Damit die Menschen sich trotzdem nicht weniger leisten können, müsste das Grundeinkommen jedes Jahr entsprechend der Inflationsrate angepasst werden, argumentiert etwa hier das Netzwerk Grundeinkommen. Allerdings „kann auch die reale Veränderung der Rahmenbedingungen für manche Märkte sinnvoll sein“. Wie diese Veränderungen aussehen sollen, steht dort nicht und wird auch kaum diskutiert. Die Frage nach Preissteigerung und Rahmenbedingungen hängt auch stark davon ab, wer für das Grundeinkommen am Ende bezahlen würde.

3. Auch weiterhin den Kranken und Schwachen helfen

In den beiden großen Grundeinkommens-Gruppen auf Facebook (Gruppe 1 & Gruppe 2) lese ich immer wieder ein Argument. Es geht ungefähr so: Mit einem BGE könnte man die ganze Bürokratie abschaffen und das gesparte Geld direkt an die Bürger geben. Ich frage mich: Wollen wir das wirklich? Denn auch in einer BGE-Welt wird es noch Menschen mit Behinderung geben, Schwerkranke, Menschen, die gepflegt werden müssen. Die Bedürftigen zu versorgen, kostet mehr Geld als sie wiederum durch ein Grundeinkommen erhalten würden. Wie lösen wir diese Herausforderung? Wie kann unsere Gesellschaft diesen Menschen dann weiterhin helfen? Umfrage-Teilnehmer Sebastian hat diese Frage noch ein Stück weitergedacht: „Was machen wir mit Menschen, die nicht verantwortungsvoll damit umgehen, zum Beispiel Drogensüchtige – müssen die am Ende des Monats hungern?“

Online-Beitrag bei Krautreporter *

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