Fünfhundert Jahre lang redet der Mensch über das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE). Viele Ideen über Verteilungsgerechtigkeit, Existenzsicherung und Auswirkung auf das menschliche Miteinander wurden von Dichtern, Denkern, Philosophen utopiert.

Nun ist das Thema in der Gesellschaft angekommen. Das war nicht immer so. Noch vor wenigen Jahren musste ich mit persönlichen Angriffen und Polemik rechnen, äußerte ich mich zum BGE. Das hat sich weitestgehend geändert. Das BGE ist am 24. September bundesweit wählbar und die Menschen reden, diskutieren und beschäftigen sich. Das ist gut.

Meine Freude darüber, dass ich nicht mehr über die Existenz des Themas BGE berichten muss, wird jedoch auch von einer Gedankenkorrektur begleitet. 52 Prozent der BürgerInnen scheinen für ein BGE zu sein. Wo kommt dieser Entwicklungsschub her?

Ich erkläre mir das so: Das Thema wird von den allgemeinen Medien nicht mehr ignoriert. Ich begrüße gar die Kontroverse, welche auch in der Zeitung „DIE ZEIT“ zu finden war. Es ist auch mal was Positives salonfähig geworden. Eine Diskussion, die notwendig geworden ist. Auch die eigene Situation der Menschen lässt sie nach Lösungen suchen. Arbeit ist zwar da, aber keine Erwerbsarbeit, welche ALLE versorgt. Der Sozialstaat kann nicht mehr funktionieren, weil dieser auf Arbeitsstandards aufgebaut ist, die entweder durch Technologie aber auch durch die Agenda 2010 und die Politik bereits jetzt abgebaut werden.

Mittlerweile scheint fast jeder Erwerbsarbeiter entweder Angst vor dem finanziellen Abstieg zu haben, kennt jemanden, dem das schon mal passiert ist oder hat bereits Erfahrung mit dem ALG-II-System gemacht. Hat die Agenda 2010 mit ihren unmenschlichen Bedingungen dafür gesorgt, dass das BGE immer mehr Befürworter findet?

Ich denke ja. Und hier sind wir bei meiner Gedankenkorrektur. Grundsätzlich halte ich das BGE für wertvoll und wichtig, um die Menschenwürde zu wahren. Wir leben in einem Land, das reich von Gütern und Dienstleistungen ist. Aber nicht jeder hat mehr Zugang zu der Grundversorgung. Mieten steigen, Mietlücken werden durch Regelsätze gestopft und am Ende des Monats steht man Schlange an der Tafel, während man gegenüber auf die Auslagen eines Supermarktes schaut.

Viele Befürworter scheinen aus der eigenen Not heraus für das BGE zu sein. Das halte ich nur für menschlich und nachvollziehbar. Mein Ansatz, das BGE als Grundsatz der Menschenwürde zu sehen, ALLE mitzunehmen und nicht nur sich selbst, stößt bei Diskussionen auf starke Kritik. Hatte ich noch vor wenigen Monaten den Gedanken, dass das BGE die Menschen emanzipieren könnte und sie beginnen, selbstbestimmt Entscheidungen herbeizuführen, weil sie keine Angst mehr vor Existenzverlust haben müssen, sehe ich dies nach meinen neuen Erfahrungen anders.

Wir sind nun an einem Status, in dem wir tiefer in die Diskussion des BGE eintauchen müssen und schauen, wohin sich die Gesellschaft wirklich entwickeln kann. Sie kann auch weiterhin egoistisch bleiben. Der Neid und Hass auf Menschen, die trotz des BGE ein anderes und vielleicht auch besseres Leben haben, wird in absehbarer Zeit nicht verschwinden. Denn es bleibt dabei: Erwerbsarbeit ist da, aber nicht mehr für alle. Und auch da wird nicht jeder zwangsläufig an seinem Wohlstand arbeiten können. Es geht beim BGE „nur“ um eine Existenzsicherung.

Die Erwartungen, wozu ein BGE gesellschaftlich führen kann, sind einfach nicht dem Zeitgeist entsprechend. Dazu muss diese Gesellschaft erst noch an sich arbeiten. Wenn ich Kritik an manchen Punkten übe, eben auch an den Ursprüngen der individuellen Grundlage der Befürwortung, ist eine verbale Aggressionsattacke nicht unmöglich. Die Menschen, welche nur sich im Mittelpunkt des BGEs sehen, haben Angst, dass man ihnen jetzt auch noch das wegnimmt. Die Chance und Perspektive auf ein Leben in Ruhe und Würde. Aber das ist ja gar nicht der Fall.

Das Bündnis Grundeinkommen, welches gerade fleißig auf Wahlkampftour ist, zeigt sich für mich schon übertrieben harmonisch. So las ich, dass BGE-Befürworter alles liebe Menschen sind. „Am besten liest Du Dir den Wahlzettel durch und folgst Deinem Herzen (BGE)“, ist in einem Comic auf Facebook zu lesen. Piep, piep, piep, wir haben uns alle lieb, meinen manche Befürworter und Aktivisten zu vermitteln. An dieser Stelle würde ich die Erwartungshaltung ganz stark herunterschrauben. Eine bedingungslose Grundsicherung macht nicht gleich aus einem Menschen, der schon im Vorfeld garstig war, einen guten und glücklichen Menschen.

Wir sollten die Kirche im Dorf lassen und das BGE erst mal als das sehen, was es ist: Eine Notbremse, um in der Gesellschaft wieder Ruhe einkehren zu lassen. Sind die Grundbedürfnisse gedeckt und ein Ansatz einer Perspektive geschaffen, sehen wir weiter, woran wir arbeiten müssen. Wird der Hass auf andere Kulturen bleiben? Ätzen wir weiter gegen Menschen, die mehr haben als man selbst? Sind wir emanzipiert genug, um unsere Selbstbestimmung leben zu können? Letzteres ist tatsächlich auch jetzt schon möglich. Eigentlich ist vieles auch jetzt schon möglich. Nur nicht jeder hat gelernt, für sich zu entscheiden und wartet daher auf den Retter, die AfD, den Schulz, die Merkel oder eben auch auf das BGE. Auch das Bedingungslose Grundeinkommen wird nicht alle individuellen Probleme lösen können. Wer sich minderwertig fühlt und nur mit Gewalt argumentieren kann, wird es auch mit einem BGE tun.

Wenn der Mensch es richtig angeht, das BGE so zu verstehen, wie es ursprünglich gemeint ist, dann kann sich die Gesellschaft in eine menschliche Richtung entwickeln. Dann könnte auch Gemeinschaft, Tausch, Teilen, Utopie weiterentwickelt werden. Dann könnten wir uns überlegen, was im Leben wirklich wichtig ist. Wir müssen mehr über die Arbeitsethik reden und nicht darüber, wem wir als nächstes dienen und wem wir Wohlstand bereiten.

In einer Dokumentation wurde mir kürzlich in etwa berichtet: Wurde in der Geschichte ein Werkzeug oder eine weitreichende Erfindung getätigt, konnte sich die Gesellschaft Gedanken um andere Dinge machen.

Und an so einem Punkt stehen wir wieder. Die (Informations-)Technologie übernimmt die menschliche Arbeitskraft. Beschäftigen wir uns mit Themen, welche uns wirklich beschäftigen sollten: Klimawandel, alternative und regenerative Energien und ihre nachhaltige Umsetzung und und und.

Ich werde bei der Bundestagswahl mit meiner Zweitstimme das Bündnis Grundeinkommen wählen. Die Erststimme mache ich ungültig, weil ich für mich entschieden habe, meine Stimme nicht mehr abzugeben, sondern selbst mit entscheiden zu wollen. Ich hoffe, dass das BGE seinem Konzept treu bleibt und den Bundesweiten Volksentscheid versucht mit den anderen Parteien umzusetzen. Ich folge nicht der Partei, sondern dem Bedingungslosen Grundeinkommen. Und derzeit gibt es keine andere Möglichkeit, in diesem Thema konkreter zu werden, als es zu wählen. Und dann schauen wir weiter. Wir sind erst am Beginn einer verdammt guten Idee!

Lokalkompass von Sandra Stoffers