Zur Bundestagswahl zugelassen zu werden ist für kleine Parteien nicht einfach. Wie man es dennoch schafft, weiß Arnold Schiller, 52, vom Bündnis Grundeinkommen.

brand eins: Herr Schiller, an der Bundestagswahl 2017 wollten 64 Vereinigungen teilnehmen. Nur zehn haben das in allen 16 Bundesländern geschafft: die fünf etablierten Parteien, die AfD, die Freien Wähler, die Satirepartei „Die Partei“, die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands – und als einzige Neugründung Ihr Bündnis Grundeinkommen. Warum ist es für kleine Parteien so schwer, auf den Wahlzettel zu kommen?

Arnold Schiller: Viele scheitern daran, überhaupt als Partei anerkannt zu werden. Diesmal wurde von den 64 Vereinigungen nur 48 der Parteistatus zuerkannt. Dabei sind die Hürden dafür gar nicht so hoch. Es geht vor allem darum, glaubhaft zu machen, dass man es ernst meint. Wenn man dann als Partei anerkannt ist, kommt der schwierige Teil: Man muss in allen 16 Bundesländern Unterschriften sammeln, um überall auf den Wahlzettel zu kommen.

Wie viele Unterschriften braucht man?

In jedem Bundesland etwa 2.000, in den kleinen Stadtstaaten etwas weniger. Insgesamt braucht man etwa 30.000 Unterschriften, um in ganz Deutschland gewählt werden zu können.

Wie haben Sie das geschafft?

Das Wichtigste war, die richtigen Leute zu finden. Wir haben von Anfang an darauf geachtet, nicht einfach möglichst viele Mitglieder zu werben, sondern die richtigen. Ich habe mit 31 anderen angefangen, und bis heute haben wir nur 281 Mitglieder.

Was macht die richtigen Leute aus?

Wir wollten Leute einbinden, die an dem Thema bedingungsloses Grundeinkommen schon seit Jahren, teilweise Jahrzehnten dran sind. Es mussten glaubhafte Vertreter dieser Idee sein. Und man braucht Leute, die wirklich aktiv sind. Um uns da sicher zu sein, haben wir ein Bürgen-System eingeführt: Voraussetzung für den Eintritt ist die Unterstützung von zwei Parteimitgliedern. Die Quote der aktiven Mitglieder ist deshalb bei uns außergewöhnlich hoch. Bei einer normalen Partei kann man davon ausgehen, dass vielleicht zehn Prozent der Mitglieder sich wirklich einbringen. Bei uns sind es nahezu hundert Prozent.

Wieso ist das so wichtig?

Man braucht genug Menschen, die bei Scheißwetter auf die Straße gehen und Menschen anquatschen: „Magst du hier unterschreiben?“ Die Piratenpartei hat es dieses Mal trotz mehr als 10.000 Mitgliedern nicht geschafft, genügend Unterschriften zusammenzubekommen. Die treten jetzt nur in elf Bundesländern an.

Was sind die häufigsten Fehler kleiner Parteien, die dazu führen, dass sie es nicht auf den Wahlzettel schaffen?

Viele unterschätzen, wie früh man anfangen muss. Wir haben im April 2016 begonnen, also fast anderthalb Jahre vor der Wahl, das war bereits etwas knapp. Die Berichterstattung zu Bundestagswahlen beginnt etwa ein halbes Jahr vorher, erst dann kommen manche auf die Idee: Jetzt eine Partei gründen! Das ist zu spät.

Wie lange dauert es, in einem Flächenbundesland 2.000 Unterschriften einzusammeln?

Das ist unterschiedlich. In Bayern ging es relativ zügig, in zwei, drei Monaten. In Rheinland-Pfalz haben wir fast ein halbes Jahr gesammelt, und am Ende fehlten uns am Tag, bevor die Frist ablief, noch zwei Unterschriften. Da musste dann kurz vor Schluss jemand losgehen und noch zwei Leute überzeugen.

Warum wurde das so knapp?

Eigentlich hatten wir auch in Rheinland-Pfalz deutlich mehr als 2.000 Unterschriften zusammen, aber die wurden nicht alle akzeptiert. Das läuft nämlich so: Die Unterschriften müssen von der Gemeinde bestätigt und mit dem Wählerverzeichnis abgeglichen werden. Und da geht dann noch einiges schief. Da vergisst zum Beispiel jemand, seinen zweiten Vornamen einzutragen. Dann kann er auf einmal nicht mehr eindeutig zugeordnet werden, und schon wird die Unterschrift nicht anerkannt. Oder es passieren Formfehler: Der Sachbearbeiter auf dem Amt vergisst, seine Unterschrift unter die Bestätigung zu setzen. Das hatten wir etwas unterschätzt.

War es schwierig, die Leute zu überzeugen?

Die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen hat es relativ einfach gemacht. Aber obwohl das Thema sehr gut zieht, war es auch harte Arbeit. Schon deshalb, weil das Formular, das die Leute unterschreiben müssen, ganz schön einschüchternd ist. Da werden einem gleich strafrechtliche Konsequenzen wegen Wahlfälschung angedroht, etwa für den Fall, dass man auch für eine andere Partei unterschrieben haben sollte. Da steht wörtlich: „Wer mehrere Landeslisten unterzeichnet, macht sich nach § 108d in Verbindung mit § 107a des Strafgesetzbuches strafbar.“ Das schreckt natürlich ab.

Was ist der Grund für diese Drohung?

Das kann ich nur vermuten. Einer der Gründe ist wohl, dass man nicht möchte, dass Parteien sich ihre Unterschriften dadurch besorgen, dass sie immer wieder in dieselben Seniorenheime gehen und dort jeden unterschreiben lassen.

Warum war es Ihnen so wichtig, in wirklich allen Bundesländern auftreten zu dürfen? Wieso spart man sich nicht einfach die Arbeit in Bremen oder im Saarland, wo es nur um relativ wenige Stimmen geht?

Unsere Idee war es, die Bundestagswahl zu einer Art bundesweiten Volksabstimmung über das Grundeinkommen zu machen, wie es das in der Schweiz vor gut einem Jahr gab. Dafür muss man dann aber auch im ganzen Bundesgebiet antreten – und darf nicht einige Bundesländer einfach auslassen.

Woher wussten Sie, wie man die Teilnahme an einer Bundestagswahl angehen muss?

Ich bin seit meinem 15. Lebensjahr in der Politik. Im Jahr 1980 habe ich die Jungen Liberalen mitgegründet. Und 2009 bin ich in die Piratenpartei eingetreten, bei der ich auch heute noch Mitglied bin. Ich kenne mich mit politischen Neugründungen also ganz gut aus.

Was treibt Sie an?

Vor allem Leidenschaft. Viele, die das nur mit dem Verstand machen, bleiben auf der Strecke, wenn es nicht irgendwelche Karrierewürstchen zu verteilen gibt.

Die etablierten Parteien müssen sich nicht um die Zulassung kümmern. Wer mindestens fünf Abgeordnete im Bundestag oder in einem Landtag hat, darf auftreten. Ist das nicht unfair?

Natürlich ist es das. Aber das wussten wir vorher. Genau diese Regelung hat übrigens der Piratenpartei dieses Mal das Genick gebrochen. Die saß in Nordrhein-Westfalen bis Mai im Landtag und hätte keine Unterschriften sammeln müssen, wenn sie bei der Landtagswahl wieder eingezogen wäre. Das hat in einigen Landesverbänden zu der sehr optimistischen Annahme geführt, dass man nicht sammeln müsse. Da wurde bis zuletzt gehofft, dass es irgendwie noch einmal reichen würde.

Was halten Sie von den Beschränkungen bei der Zulassung zur Bundestagswahl?

Es sollte sich da jeder präsentieren dürfen. Die Macht liegt dann eben beim Wähler. Selbst wenn da irgendjemand aus Witz und ohne Unterstützung auf dem Wahlzettel steht – was soll schon passieren? Außer vielleicht, dass der Wahlzettel etwas länger wird. 

Originalbeitrag aus brand eins 10/2017